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"(...) Er sagte: 'Allein gültig ist eine Haltung, ein Protest, der auf dem zerbrechlichen Gebiet des Menschlichen fußt; nur indem man Mensch bleibt - trotz Versuchungen und inneren Demütigungen -, bietet man dem anderen - wer er auch sein mag - die Stirn. Der Ungeduldige, der einen Brief erwartet, den niemand ihm schicken wird (Wiesel meint hier eine Person, die nur halluziniert und ohne ein wirklich lebendes Gegenüber zu haben trotzdem jahrelang einen Brief erwartet, Anm. K.R), was beweist er? Gar nichts. Sein Verhalten - so tragisch es sein mag - ist ebenso belanglos, ebenso unfruchtbar wie eine Maschine im Leerlauf. Es ist falsch, die Freiheit nur im Wahnsinn zu sehen: er mag Befreiung sein, Freiheit ist er nicht.' (...)"
- Elie Wiesel, Gezeiten des Schweigens -


Relationship gives rise to meaning, to its death and to its rebirth.
- Kenneth J. Gergen -

„Da haben wir gelächelt in die Gesichter der Monster und Hände gereicht in dumpfem Vertrauen denen, die vor uns standen (…) unseren Gehorsam bewachend im Hochsicherheitstrakt unserer Erziehung.“
- Gertrud Seehaus-Finkelgruen, Damals


Karin Roth (Diplom Rehabilitationswissenschaftlerin und Systemische Therapeutin/SG)

Informationen zu Systemischer Therapie von meinem Dachverband "Systemische Gesellschft" finden Sie H I E R.

"Ich bin auch so ein Systemsprenger", sagte sie, nachdenklich. Verwundung. Sichtbar im abgewandten Blick. Dann:  Stille.
Lange Momente.
Später ein Blitz in ihren Augen. Stolz fast. Ein Aufbäumen. Lebendigkeit. Vitalität.
Beziehungen.
Verletzungen.
Verletzlichkeiten.
Wir, mittendrin, hineingeworfen in die Vulnerabilität des Lebens selbst, werden formiert und deformiert, formieren und deformieren uns selbst darin. Und unsere Wirklichkeiten. Aktiv. In jedem Moment. Relational mitverantwortlich.

Mit Glück schaffen wir irgendwann eine innere Beobachterin in uns, die auf diese Prozesse schauen lernt. Mit Distanz. Und Worte findet.

Welche Worte, das hängt von der Theorie ab, die wir zugrundelegen.
Ich, seit Jahren im relationalen Denken zuhause, interessiere mich für Personen-Raum-Zeit-Kontexte und wie wir diese und uns darin erschaffen, wie diese uns geprägt haben und wie wir uns darin prägen, in rekursiven Wechselwirkungen als multiple Selbste in Netzten von Beziehungen. Andere schauen anders und sprechen anders über das, was üblicherweise „das Selbst“ genannt wird.

Theorieabhängig immer, wie wir damit umgehen, wenn beispielsweise scheinbar aus dem Nichts Rückzüge uns treffen. Oder Ausbrüche, Selbstverletzung, Fremdverletzung, massive Gebärden und Worte wie Messer (alldas aber ist nie so massiv wie die erlebte Gewalt der Betroffenen).  
Was sehen wir darin? Wagen wir eine Benennung? Wenn ja, welche Worte wählen wir, welche Erklärung, welche Bewertung? Benennung zeigt immer auf uns zurück und das, was wir gelernt haben wie zu sehen, zu fokussieren und zu benennen. Oder wagen wir derlei nicht, vor allem nicht für andere?
Selbstbilder, Fremdbilder, Denk- und Handlungsoptionen formen wir im relationalen Denken in und durch die Beziehungsnetze, die aktuell und früher gelebten ... (De)Formationen inklusive, die wir im Jetzt weiter aktualisieren. Und manch ein Wesen wird durch Therapie- und Behandlungsansätze stabilisiert in der Chronifizierung. Stabilisiert sich selbst darin.
Die politische Behindertenbewegung legt seit den 70 Jahren bereits ihren Finger darauf.

Ich arbeite mit Menschen, die als "psychisch chronisch krank" gelten und Ziel meines Instituts ist primär die Ingangsetzung und Begleitung von Enthospitalisierungs- und Entchronifizierungprozessen.

Die Form meiner Arbeit: Begleitung und rekonstruktives, dekonstruktives Gespräch, Da-Sein, Präsent-Sein, ganz individuell arbeite ich, relational denkend. Jede/r benötigt etwas anderes und was das jeweils ist, kann jede Klientin selbst mir sagen. Wenn ich sie dazu einlade. Dabei lege ich den Blick - statt auf Diagnosen - auf Vulnerabilität einerseits, auf Resilienz andererseits und das eigene Gewordensein in den Netzen von Beziehungs- und Denk-Traditionen und interessiere mich für deren Wirkungen auf die Selbst- und Weltkonstruktionen.

Ich selbst habe mich als systemische Therapeutin  spezialisiert auf Begleitung psychiatrisch diagnostizierter Menschen, vor allem traumatisierter Frauen (seltener auch Männer), Menschen mit diagnostizierten sog. Persönlichkeitsstörungen, Menschen mit  sog. dissoziativen Identitätsstrukturen.

In meiner Arbeitsweise fühle ich mich einerseits den Erfahrungen derjenigen Menschen nahe, die es geschafft haben, Krisen und/oder eine psychiatrische Karriere zu beenden, andererseits sprachphilosophischen, systemischen und sozialkonstruktionistischen Denkweisen, der Bindungstheorie, kognitiver Verhaltenstherapie und der humanistischen Psychologie. Ich schätze eine Haltung des Nicht-Wissens,  Interdisziplinarität, relationales Denken und Dogmenfreiheit und halte diese vier für essenziell in der Begleitung von Menschen.

Preise:


Es folgen nun ein paar Texte des  Dichters und Schriftstellers Friedrich G. Paff, der es - wie wenige andere nur - versteht, Essentielles zur Sprache zu bringen.



Das Gedicht, die Liebe und die Therapie 
                                                                   
                                                            von
Friedrich G. Paff 
 
                
Sein Vater war Uhrmacher gewesen. Großvater und Onkel auch. Die Zeit zu messen, war ihr Beruf. Die Zeit zu verändern, seiner. Andere Erfahrungen von Zeit. Dem Nichtmessbaren Raum auch zu geben, der sich verwirklicht in unserer Zeit.

Therapie, Liebe, Gedicht war doch alles gleich. Oder gab es da Unterschiede ?

Im Gelingen nicht, nur im Mißlingen.

Wenn es glückt, ist es dasselbe und kann anders nicht sein.

Es ist immer Anfang.

Anfang einer Begegnung, an der Teilhabe einer gemeinsamen Zeiterfahrung, wo man konfrontiert ist mit einem Gegenüber.

Es ist Anfang immer, der nie endet.

Ein Feuer, das nie verlöscht. Ein Atem, der durch den Tod hindurch geht.

Der Schlußpunkt eines Gedichts ist immer auch der Anfang eines anderen.

Liebe endet nicht. Sie ist ja gerade das Wagnis und Hineinwachsen in das was da übersteht, dauert, sich löst vom Tod, Findung, die nicht kurzfristig nur Betäubung ist.

So ist Therapie Wagnis auch immer. Ihr Ende zu wissen, hieße, den Anfang erst gar nicht aufnehmen zu brauchen, sich zu ersparen.

Eine Therapie wie auch ein Gedicht ist das Wagnis offener Leere. Die nicht vorbestimmt ist allein von vermeintlichen Konflikten, anzustrebenden Lösungen, die vielleicht das Problem nur verdecken. Wie in der Liebe ist Therapie und ein Gedicht das Fallenlassen aller Schablonen, die Chance einer Begegnung, die Findung sein kann, weil nichts vorgegeben ihr ist. Ein Wagnis, das man auch bereit sein muß, einzugehen, daß scheitern kann, aber auch daher die Chance hat Fesseln des Zwangs lösen zu können, wo man im Fallen des Abgrunds von Flügeln getragen wird, die man noch gar nicht gekannt.

Therapeuten, die also meinen, die Therapie ist beendet, sich zu verabschieden für immer, die Bilanz ihrer Buchungen gezogen zu haben, haben eigentlich nie begonnen, je zu therapieren.

Eine Liebe, die schon meint, die Flammen zählen zu können, in der hat das Feuer nie gezündet.

In ihr ist der Brand schon erloschen, der unaufhörlich Wälder verbrennt und immer wieder neu ergrünen läßt.

Auch für den Therapeuten ist die Therapie Wagnis. Denn er weiß, ein Gelingen das ist Änderung immer. Eine Liebe ja auch. Aber das ist Bereicherung immer und geht nicht, wenn man die Welt aufteilt :

Dort ist der Dichter und dort ist das Produkt, das Gedicht. Dort ist der Therapeut und dort sein gnädig wertzuschätzender Klient, der auch als Kunde noch bezahlt, bzw. für den gezahlt wird von den mächtigen Hydraarmen staatlicher Krankenkassen und Institutionen. Dort ist das Subjekt und dort das zu behandelnde Objekt. Hier ist die Lösung, das Wissen und dort der Konflikt und die Schatten.

Licht und Schatten sind tiefer und anders verstrickt.

Liebe, Therapie, Gedicht heißt einfach wahrnehmen. Und sich nicht sperren dagegen. Zuzulassen. Das heißt gerade sich zu öffnen. Nicht zu blockieren.

In einem solchem Prozeß entsteht Sprache neu und bleibt nicht dieselbe, weil sie gespeist wird mit Facetten, die nur in Beziehung zu einem andern sich neu entfachen und prismenartig alle Sprachgewohnheiten neu reflektieren lassen.

So in der festgefügten Ordnung des Gedichts hat das Wort ja seinen festen Ort, gerade weil es an dieser und nur an dieser Stelle neue Brechung des ganzen Kontexts ist.

Es ist nicht ersetzbar durch eine Interpretation. Nur ein schlechtes Gedicht hebt sich mit einer Interpretation auf. Atem, Haut, Augenaufschlag und Augenblick sind nicht übersetzbar, austauschbar. Ambiguität und die Freiheit ihres Wagnisses tilgt nicht aus die Berührung des Unfaßbaren.

Das, was man zuvor nicht vermutet, im Abgrund endet die Beliebigkeit, wächst eine neue Präzesion. Auch wenn diese nicht testbar und entzifferbar immer ist. Ihre Exaktheit ist genauer. Ich messe die Zeit anders als meine Väter und Vorväter.

Die Wissenschaft der Psychologie ist vielleicht der Versuch, die Seele zum Uhrwerk zu machen.

Aber die Seele ist die Unruhe, die im Zeitlosen schwingt wie sie auch im Zeitlichen ganz jetzt und hier tickt.

Du tickst nicht richtig. Ist der Vorteil des Patienten. Der Konflikt ist der Motor, der seine Fassaden durchbricht.

Der Therapeut hat es da schwieriger. Empathie alleine reicht nicht. In sich hineinsehen, wo die helle Welt seiner Aufklärung und seiner Privilegien am Ende doch Schatten wirft im Machtgefälle zum Gegenüber, die er so nicht gewollt.

Wenn der Therapeut seine Fassaden nicht durchbricht, bleibt er am Ende Guru oder versteinerte Sphinx.

Der erfolgreiche Dichter vermag ebenso zum Etikett degradieren. Der Dichter, der meint, sich gefunden zu haben, die Weisheit zu besitzen, die Wahrheit auf den Lippen, von dem hat das Schweigen sich bereits verabschiedet, aus dem allein Neues entsteht.

Wer meint, genau zu wissen, was ein Gedicht ist, sollte Germanist werden. Nie Dichter.

Linguisten sollten mit den Uhrmachern der Seelen Papageien züchten und in ihren Gärten Digitalgewächse anbauen.

Pädagogen sollten erst mal an Spielautomaten üben, was ein Kind ist, Zufall, Gewinn oder nie enden wollende Serie.

Sexualtherapeuten sollten einfach nur selber glücklich sein.

Hypnotiseure nicht in den Spiegel gucken.

In den systemischen Spielwiesen rangelt sich alles. Die Erde ist aufgewühlt von tausend Regenwürmern, die Angst haben, daß vom Himmel kein Regen mehr fällt und die Erde vertrocknet.

Man traut der Bischöfin Käsmann zwar alle Karriere zu, aber keinen Regen mehr.

Wer liest, was der Papst über die Tochter Zion schreibt, erbleicht. In ihm lacht die Schwarze Madonna. Er ist feministischer als alle seine Gegensacher.

Wir müssen uns bewegen in den Bildern dieser Welt. In den Legenden, die keine Mythen mehr sind, und die uns täglich geliefert werden von den Mumienwächtern heutiger Pharaonenanstalten : den Journalisten der Medien.

Aber es hat sich nichts geändert. Das goldene Kalb bleibt das goldene Kalb, auch wenn es sich noch so vermehrt.

Die Bundeslade ist leer. Der Dichter weiß noch, was er verloren hat.

Der brennende Dornbusch, aus ihm allein schöpft Atem noch was in den Schatten nicht erstickt noch aufgrellen sich läßt zum blendenden Irrlicht.

Gedicht, Therapie, Liebe das ist ein Feuer.

Ein Wagnis, Mensch zu sein inmitten versteinerter Strukturen, verflüssigter verflachter Begierden, verwässerter Wahrheiten.

Worte sind Splitter brennenden Dorns.

Das Gedicht bindet sie zu einer momenthaft vergänglichen Krone.

Liebe ist etwas, ohne das etwas nichts ist.

( das jedes Gedicht eigentlich Liebesgedicht ist, schrieb ich als Student einem Professor, keine Antwort, aber auf dem Klappentext seiner Gedichte fand ich den Satz dann wieder )

Was die evangelische Kirche verlernt hat, einst ihr großer Beitrag, daß das Wort lebendig ist, Leben schafft, Fleisch wurde, schöpferisches Denken, das alle Schablonen durchbricht, rausreißt aus der verbeamteten erstarrten Lähmung und saturierten Langeweile, das bleibt in jedem Alltag, jedem Gespräch, jeder Therapie, jedem Gedicht. Das Wort ist der Stachel gegen den Tod gezückt, daß der Hydra der Zwänge, Ängste und Ausflüchte den Kopf abschlägt.

Die Thora eine Rolle, Schriftzeichen, Buchstaben, Zahlen, Geheimnisse, in der die Worte aus dem Atem der Schöpfung und des ersten Tags, aus Verfolgung, Verrat und Lobgesang lebenspendende Schöpfung wiederum selber wurden.

Ob Schamanismus, Zen-Buddhismus, Tao, Koran oder indianische Weisheit, jede Religion spürte, was aber auch reflektierender Atheismus oder Nihilismus zu spüren vermag, um aus der Erstarrung heraus zu lösen sich, bedarf es oft Mittler. Wie immer die auch heißen mögen, Priester, Schamanen, Therapeuten, Helfer…egal. Die Mittler ermitteln was an Mitte verlorenging. Dies ist ein lebendiger neuschaffender Prozeß, der die Mittler selbst miteinbezieht in das Wagnis der Veränderung, der Suche und Findung möglicher Lösungen. Passivität der Verwertbarkeit und des Konsums reicht da nicht aus. Zwangsfröhlichkeit auch nicht. Das Verdrängte versteckt, verbirgt oder behütet die Asche, aus der im Wagnis zu dem Unbekannten neue Funken und Flammen zu schlagen vermögen. Sie setzen die Welt in Brand, der gespeist ist aus einem tiefen Atem der Liebe, die sich in neuer Wachsamkeit und unvoreingenommener Wahrnehmung öffnet der Gegenwart, weil sie sich gewiß ist einer Verheißung, die über den Tod hinausgeht. Uhrwerke messen die Zeit, aber sie fassen sie nicht. Seine eigene Zeit zu werden und nicht abgegrenzt zu sein vom Gespräch der Menschheit, das bereichert auch den Atheisten über den Tod hinaus.

Brot und Wein ist für Hölderlin wie für den Christen der Zugang an jener Teilhabe, die sich uns nur schenkt, wenn wir auch zulassen, daß sich uns etwas schenkt, daß wir tiefer und reicher zu leben und zu sterben vermögen.

In der Gnade zu sein, ist etwas, was wir noch nicht in der Konsumgesellschaft zu bestellen vermögen. In der Gnade, die Veränderung immer ist, bei sich, dem Gegenüber, in der Beziehung zueinander, im Gespräch, in der Sprache, in der Bedeutung des Worts, in der Intonation, in der Liebe, in der Berührung, im Blick, in allem.

In der Gnade zu sein heißt, es glückt und es gelingt, Therapie, Liebe, Gedicht.

Es ist ein und dasselbe.

Vor mir hier in Cartosio über Steinplatten sich erhebend ein hoher grünender Busch. Weißer Nebel statt Blüten. Eingerollt ganz fahl weiße Blättchen, unauffällig, die man übersieht. Sieht man jedoch näher hin, könnte man meinen, fahlweiße Insektenkokons seien hier ans Blattwerk geraten.

Der Busch zeigt mir, daß Zeit nichts unveränderbar Stillstehendes nur ist. Derselbe Busch zu einer anderen Tageszeit und Stunde strahlt weithin seine leuchtend blauen Kornblumenblüten. Deren tiefes Blau nur überlebte in der Hitze des Sommers hier, weil es sich ganz unscheinbar fahl hinter tarnender Weiße zu verbergen und zu schützen vermochte.


* * *


Das Gras verdorrt

auf meiner Lippe
Asche nur

die schwarze Madonna

pflückt rote Mirabellen

und legt sie auf Gräbern
mit eisernen Griffen

das Wunder Leben
daß da Schöpfung ist

beseelt

und selbst im Tod

keine Sichel den Segen
zu trennen vermag

Tochter Zion freue dich


* * *

Cartosio, 13. Juli 2008   




Das stille leuchtende flüssige Felsmassiv 

                                                                 von
Friedrich G. Paff


In Wahnsinn gehüllt das stille leuchtende flüssige Felsmassiv.
Sprache des Phallus. Dohlen flogen über es hinweg. Ameisen krochen aus den geschwärzten Steinen hervor.

Einfach auf einer Insel sein. Einer Sandbank. Umgeben von Wasser. Weidenzweige peitschen ins Gesicht. Die fein gezackten Blätter eines Weidenblatts mit ihnen durchsägst du alle Träume.

Angekommen sein da wo die Krähe mit ihrem Flügel schlägt den Mond hinab in die unterste Schicht der Graswurzel.

In die Erde krallen sich die Finger den Himmel zu ertasten, wo er sich bettet in die Finsternis. Sprachen du liebst sie. Sie sind das Gezische der Schlangen. Worte Eidechsenhäute. Nackt sein. Aber wer kann das ?

Durch die Häutungen hindurchgehen, durch wogendes Weizenfeld, Dornen des Ginsters, segeln über die Schatten hinweg.

Sterne du hast sie in der Hand. Alle Himmel gesammelt. Das Feuer ist Ruß. Es schwärzt dich ganz. Du tanzt auf den Silben. Brich durch die Worte hindurch. Durch die Nebel, die alle sie legen, durch die Scheinwerfer, die nur Verhöre sind.

Ein Satz ist es ein Anker ? Nein, eine Fessel. Tauch hinab, spiel mit dem Kies am Grunde des Flusses.

Sieh wie das Silber sich legt als Glanz auf den grauen Schiefer, der so flach und so glatt spiegelt die Weite einer nie kommenden Ankunft.

Leere sammelt sich so und füllt sich doch nie. Die Spitzen der Dornen stechen. Aber das setzt Haut voraus. Logik ist ein tanzender Vogel, der sich verirrt hat. Er färbt sich sein Gefieder. Das ist Poesie. Aber eine Poesie die nur schillert.

Fall tiefer hinab. Durch die Schatten der Worte gehe hindurch. Der Salamander hilft dir dabei. Die Musik endet nie, die durch Generationen surrt. Das Sirren der Käfer es hören nur Kinder.

Pflück die Sonnenblumen vom Eis. Ihre Blätter sind aufgesägte Flammen. Kriech aus den Höhlen, die Therapien nur sind. Endlich ist es soweit. Der Fels er öffnet sich. Die Milchstraße betritt sie barfuß mit scheuem Fuß.

An den Wänden die Nägel sie haben Löcher hinterlassen. Kleistere nichts zu. Es lohnt sich nicht.

Schau in die Brunnen, die spiegeln den Himmel. Schau nicht in die Brunnen, die nur spiegeln die Schwärze ihrer Verschmutzung.

Höre die Klage. Sie ist ein einfacher Schrei.

Den Vergewaltigungen antworten sie mit Vergewaltigungen der Reflexion. Solange noch einer in Therapie ist, ist er beordert, behütet, denkt er, umfangen zu sein von etwas, was über ihm ist, Anstöße gäbe.

Durchstoß die Schalen der Abhängigkeit. Schlüpf aus dem Ei. Flieg. Flieg splitternackt. Wohin ?

In den Abgrund. Vielleicht findet sich ein Ufer. Vielleicht findet sich ein selbst. Lande auf Gras. Auf diese Halme des Tods, die alles bedecken.

Such nicht ein Herz, wo Steine nur sind.

Suche Steine, die selten sind. Öffne sie und sie schenken dir ein Herz. Nimm es. Es ist dein.

Dein Herz ist in dir und in allem was glitzert und glänzt, Funke ist eines unsichtbaren Lichts.

Nur der Augenblick fesselt. Mehr nicht. Schenke dir diese Momente, die einfach nur nichts sind. Ohne Bedeutung. ohne Verkettung in deine Verkettungen hinein. Einfach Momente des Sein.

Denke nicht, es ist nur Luft, wie die Sonne jetzt gerade schimmert auf die Wellen der Brandung, auf den Fisch, auf das Goldblättchen. Es ist Glück.

Doch es gibt keine Rezepte. Durchschneide die Muster der Tröstungen und Versprechungen. Dann kommst du zu mir und wir sind frei.

Laß zaubern uns, die wir verzaubert sind.

Durch deine dunklen Augen schwimme ich in die Welt.

Durch meinen grünen Stein komm den Finger entlang in mein Herz.

Vom Wahnsinn umhüllt still leuchtet das frühe Felsmassiv. Still leuchtet, flammt, was nur beide schaffen, und einer alleine nie hat. Das ist der Zauber, zusammen Felsen zum Schmelzen zu bringen, zum Glühen, Täler zu Paradiese, durch die Raben fliegen in die Zukunft der Nacht.

In den Morgen der Ankunft, wo wir erst erwachen, in die Augen uns blicken, du und ich jenseits der Schatten.

Und wir wissen dann nicht, sind wir dann blind, blind vor Glück, oder sehen wir neu wie noch nie gesehen.

Durch die Körper gegangen, durch alle Erfahrungen der Haut, körperlos fliegen wir Funken, die alle Sterne in sich tragen, alle Horizonte öffnen, alle Mauern durchbrechen, alle Worte durchglühen zu ihrem Ursprung hin, verstreute Vokale, komm nimm diesen grauen Stein, nimm eine Hand voll Asche, Staub und Erde, wirf sie mir zu, bette deine schwarzen Rabenflügel über mein Herz.

Es ist so schwach und pocht doch so stark und tief in deiner Brust.



Therapeut laß es
                      von Friedrich G. Paff


Therapeut laß es
laß es sein
die Therapie
es ist ja doch
nicht deine nur
gelernt was meint
meinen zu können
öffne den Zauber
das ist alles
steig nicht ein
in die Verkettungen
Serien der Schatten
höre sie
wie Wasser hinabfließt
den Fluß
ohne je anzukommen
es fließt und fließt
der Wahnsinn ohne
jegliches Wohin
sowie die Normalität
fließt ohne
jegliches Wozu
Therapeut laß es
fließen
angele nichts
töte die Fische nicht
die nur zappeln
keine toten Worte
keine toten Fische
verschenk all deine Leinen
Angelschnüre die du
dir antrainiert
anstudiert
laß fließen den
Fluß einfach
halt ihn nicht auf
er weiß von selbst
daß er keine Ufer findet
und wenn er gegen
jeden Stein nur prellt
alles auch untergehen läßt
in Strudel und Sog
kämpf nicht gegen an
keine Gegenströmung
warte bist du in seinem Rauschen
etwas hörst
was noch nicht vernommen
ein Glucksen vielleicht
bis die Sirenen singen
den Odysseus sein Ohr verstopft
im Sirren der Sirenen
fürchte es nicht
hörst du ihr Echo im Fels
wohin der Fluß fließt
wer bestimmt es
laß ihn fließen den Fluß
er will zur Mündung
die es nicht gibt
lerne zu tauchen
zu seinem Ur-sprung hinab
zum Anfang der Quelle
als er noch Strahl
aus dem Fels heraus
aus der Tiefe der Erde
aus der Höhle, Gebirge
dem Gletscher, dem Wald
vor all seinen Verkettungen
Biegungen, Brechungen, Fluchten
begegne ihm dort
öffne dich dem Zauber
teile mit ihm ein Nebelland
wo alles fließt wie es will
nach links und nach rechts
nach oben und unten
einen weißen Fleck
der noch nicht betreten
von einer Bedeutung beherrscht
von einem Wort das doch
Fessel nur ist
den Punkt zu finden
der noch nicht begrapscht ist
vielleicht ist das die Seele
die Unbefangenheit des Himmels
schenk ihm das Licht
er schenkt es dir
Momente einer Ankunft
jenseits aller Fassaden
durchbrich, durchbrecht so
das was euch trennt
denn es gibt da
kein Ufer und kein Fluß
das selber ihr nicht
gemeinsam erst seid
der Therapeut ist kein Ufer
und der Patient
strömendes Suchen nur
nur die Analyse
läßt den Krug
solange zum Brunnen bringen
bis er bricht
schöpft aus dem Nichts
das Wasser
das alle Krüge füllt
mit einer Leere
die nichts erwartet
die Ankunft ist
fließen und Form zu sein
Krug der nicht bricht
Tiefe des Brunnens
Höhe des Fels und des Himmels
aus dem der Regen
uns quillt
bechert das Glück
das immer auch ist
in all den Schatten
das nicht zersplittert
wenn ein Gegenüber da ist
doch höre mir nicht zu
ich kann keinen Rat erteilen
ich bin ein Experte für nichts
denn ich weiß
wenn ich gehenkt werde
schau ich
in die Augen des Raben
freue mich über seine
gefräßige Gier
die kaum zu stillen
so wartet er auf mich
und ich sehe in seinen Augen
die schwarze Sonne glänzen mir ganz




36 Fragen an das Weglaufhaus 
   
                                             von
Friedrich G. Paff

1 )

Wieviel Kreise muß ich drehen, wieviel Runden joggen um den See, um im Weglaufhaus anzukommen ?

2)

Hat das Weglaufhaus eine Adresse, die beständig ist, oder ist es selbst immer unterwegs in einer Pilgerfahrt der Fremde ?

3)

Gibt es eine Bushaltestelle, an deren übernächster Haltestelle man dann aussteigen kann, um zurückzulaufen in das Haus, das so offen aller Flucht ?

4)

Klingelt man, wenn man am Weglaufen ist oder geht man einfach durch die Tür wie durch Wände ?

5)

Begrüßt man sich mit : Wo kommst du her ? oder Wohin läufst du ?

6)

Ist es ein Haus, in dem der Gast Gastgeber auch ist ?

7)

Sprechen dort die Tapeten, in den Ecken der Zimmer sitzen da auch die kleinen Nachtmahre oder ist es zuplakatiert, was nachts so durch die Träume spazierengeht ?

8)

In welchen Farben fliegen die Raben dort ?

9)

Wohin versteckt man seinen Wahnsinn, wenn man dorthin geht, unter die Zunge, auf die Lippe, in das verlorene Herz, den dröhnenden leeren Kopf, die pulsierenden Organe, die fleischlich Nähe sich suchen ?

10 )

Spricht man dort mit eigenen oder fremden Worten ?

11)

Spiegeln die Blicke dort noch die tötenden Blicke der Anstalt ?

12)

Gibt es einen Ort wegzulaufen, wo man nicht ein – oder aussortiert wird ?

13)

Geht man durch dieselbe Tür hinaus, in die man hineingeht oder ist man dann ein anderer ?

14)

Was ist, wenn man im Weglaufen das Weglaufen nicht stoppt ?

15)

Gibt es eine Flucht, die auch eine Ankunft hat ?

16)

Zementiert man im Weglaufen immer nur den Ort, von dem man wegläuft ?

17 )

Alles, rennet, rettet, flüchtet
taghell ist die Angst gelichtet ?

18 )

Wenn die Stumme eintritt, wohin laufen die Worte dann ?

19)

Verwandelt das Weglaufhaus Frösche in Prinzen oder Prinzessinnen ?

20 )

Wie komme ich ins Weglaufhaus, wenn alles in mir nur Stillstand ist ?

21)

Die fliegenden Schreie, fliehenden, rasenden, erstickten, wie vermögen sie laufen zu lernen ?

22)

Gibt es Ohren im Weglaufhaus oder nur Münder ?

23)

Ist ’ unmündig ’ ein Wort, das es nicht mehr gibt, aber ich kann es noch schreiben ?

24)

Ist das Spiel dort beendet, wo die Unhörenden sagen, du bist unmündig ?

25)

Gibt es Spiele im Weglaufhaus, wo die Verlierer auch Gewinner sind ?

26)

Wie komme ich bei mir an, wenn ich weglaufe ?

27)

Wenn alle am Weglaufen sind, zerstreuen sie sich in alle Richtungen oder finden sie zufällig eine Stelle, wo sie sich kreuzen, durchkreuzen ?

28 )

Wenn jeder sein Kreuz trägt, wer verbrennt all das Holz ?

29)

Worte – sind das Nägel, die immer nur den Körper ans Kreuz schlagen ?

30 )

Gibt es eine Gemeinschaft, die nicht gemein ist ?

31)

Wenn ich bebe und vibriere, ist das ein Laufen, Erstarren, oder ein Finden auch ?

32)

Hat die Haut Worte im Weglaufhaus, das Schweigen einen Platz ?

33)

Im Weglaufhaus welche Uhren messen da die Ankunft, das Tempo des Laufs ?

34 )

Laufen dort alle auf der Stelle ?

35)

Wie kann ich weglaufen, ohne daß mein Schatten mich einholt ?

35b)

O diese Antwort weiß ich. Wenn ich anderen helfe, so helfe ich mir. So schließt sich der Kreis, weglaufen zu müssen.

36)

Wann ist der Punkt, wo das Laufen ein Ende hat und was ist dann ?



Förderung durch:
Logo Europäische Union Europäischer Sozialfonds

Logo LOS Lokales Kapital für soziale Zwecke

Logo Bundesministerium für Familie, SeniorInnen, Frauen und Jugend

JE SUIS CHARLIE


  letzte Aktualisierung:
  17.09.2024, Karin Roth